Ein Interview zur Einsamkeit
Wir wollen weiterhin wissen wie sich der Mensch als soziales Wesen während der Pandemie entwickelt hat und inwiefern sich Gefühle wie Einsamkeit bei uns manifestieren können. Um Antworten zu bekommen, haben wir uns entschlossen Fragen zu stellen.
Darum haben wir der Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Franca Steinbrenner einige Fragen zukommen lassen, die sie für uns beantworten konnte. Frau Steinbrenner war nach ihrem Psychologiestudium an der Hochschule Magdeburg-Stendal sowie an der San Francisco State University (USA), unter anderem im amerikanischen Gesundheitswesen, am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. sowie an der Medizinischen Hochschule Hannover tätig. Seit 2011 ist Sie praktizierende Psychotherapeutin in einer eigenen Praxis in Wolfsburg.
Frau Steinbrenner, inwieweit ist einzuschätzen wie sich der allgemeine Gemütszustand der Menschen auf der psychologischen Ebene, während der Pandemie und während „Social Distancing“ entwickelt hat?
Der allgemeine Gemütszustand ist natürlich bei jedem Menschen individuell unterschiedlich und davon abhängig wie der psychische Zustand schon vor der Pandemie war. Menschen, die schon vorher psychisch belastet waren, haben durch die Pandemie deutlich mehr Probleme, als Menschen die psychisch stabil und generell widerstandsfähiger sind. Dennoch ist festzuhalten, dass uns die sozialen Einschränkungen alle betreffen und uns dementsprechend auch alle vor Herausforderungen stellen.
Ist abzusehen welche langfristige Folgen „Social Distancing“ auf den Menschen als soziales Wesen, besonders bei jungen Erwachsenen oder Jugendlichen, haben kann?
Das hängt natürlich sehr stark davon ab, wie lange uns Corona und seine Folgen noch beschäftigen werden. Deutlich wird allerdings jetzt schon, dass psychische Erkrankungen, Belastungsstörungen und Suchtverhalten zugenommen haben.
Gibt es Symptome, welche auf Einsamkeit hinweisen?
Symptome von Einsamkeit sind vergleichbar mit depressiven und ängstlichen Symptomen. Das können beispielsweise eine andauernde Traurigkeit, Freud- und Interessenlosigkeit, innere Unruhe oder anhaltende Anspannung sowie Veränderungen im Schlaf- und Essverhalten sein, um nur einige zu nennen.
Kann man sich an Einsamkeit gewönnen?
Ja, denn der Mensch ist ein „Gewohnheitstier“ und passt sich dementsprechend an seine veränderte Lebenssituation an. Das kann sich in Bezug auf die erlebte Einsamkeit in beide Richtungen entwickeln. Negativ, indem sich die genannten Symptome manifestieren. Sollten die negativen Symptome anhalten oder sich verschlechtern, sollte man professionelle Hilfe aufsuchen.
Man kann aber auch Produktives, Sinnstiftendes aus der Einsamkeit schaffen, indem man diese momentan andauernde Krise als nur vorübergehend begreift und somit als Chance betrachtet. Vielen von uns fällt es generell schwer, mit sich allein zu sein, und an dieser Fähigkeit können wir gerade jetzt lernen.
In einer Zeit, in der wir zunehmend auf uns allein gestellt und soziale Kontakte stark eingeschränkt sind, können wir ebenso innerlich zur Ruhe kommen, reflektieren und uns neu ordnen. Es ist somit auch eine Zeit der Neu- und Umorientierung und das kann durchaus positiv sein.
Und kann man sich theoretisch von Einsamkeit ablenken? Und wäre dies auch sinnvoll?
Allein sein muss nicht zwangsläufig mit Einsamkeit einhergehen und beides ist voneinander abzugrenzen. Generell gilt aber, der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen, dass seine Netzwerke und Strukturen braucht. Deshalb müssen soziale Kontakte, generell, aber auch gerade jetzt intensiviert und gepflegt werden. Wenn das gerade in Persona nicht möglich ist, gibt es diverse mediale Kanäle, mithilfe derer wir miteinander kommunizieren können und wer weiß, vielleicht erfährt auch der Brief, der fast in Vergessenheit geraten ist, ein nostalgisches Wiederaufleben.
Gibt es bestimmte Maßnahmen, welche wir bei Einsamkeit treffen können um das Gefühl zu mindern?
Bestehende soziale Kontakte pflegen und intensivieren, dem Tagesablauf Struktur und Sinn geben, aktiv bleiben oder werden (Sport, Hobbies) um Gefühlen wie Ohnmacht und Hilflosigkeit entgegenzuwirken, gesunde Ernährung etc. um nur einige zu nennen und letztlich sich Professionelle Hilfe suchen, wenn sich der Zustand verschlimmert.
Sind Menschen, die sich momentan in einer festen Partnerschaft befinden, weniger von Gefühlen wie Einsamkeit während der Pandemie betroffen?
Grundsätzlich sind Menschen, die gut funktionierende und starke soziale Netzwerke haben, in Krisenzeiten wie in dieser Pandemie besser aufgestellt und weniger von Gefühlen wie Einsamkeit betroffen. Aber auch hier kommt es letztlich auf die Qualität der Beziehungen an, man kann sich auch gemeinsam einsam fühlen, beispielsweise wenn eine Partnerschaft schon vorher belastet war.
Welche Möglichkeiten gibt es sich gegenseitig zu unterstützen, falls sich jemand alleine fühlt? Reicht beispielsweise eine Textnachricht oder gibt es effektivere Maßnahmen?
Grundsätzlich gilt: Jede Form der Kommunikation ist besser als keine. Aber generell ist die direkte Kommunikation, also „face to Face“ , Textnachrichten immer vorzuziehen, da letztere doch Missverständnisse begünstigen, weil uns die Mimik, Gestik und körpersprachlichen Signale unseres Gegenüber fehlen. Also auch in Zeiten der Digitalisierung wird die direkte Kommunikation immer bedeutungsvoll bleiben.
Mit den sozialen Einschränkungen und dem fehlenden Kontakt fühlt man sich schnell verletzlicher. Ist es möglich, aus dieser Verletzlichkeit etwas mitzunehmen und aus ihr zu lernen?
Krisenzeiten verändern uns, stellen uns vor wesentliche Herausforderungen, bieten aber immer auch eine Chance der Neu- und Umorientierung. Diese Pandemie, so schwer wie wir sie auch erleben und empfinden, kann auch positives hervorbringen. Sei es, dass sie unsere Sicht auf die wesentlichen Dinge im Leben verrückt und uns die Bedeutung von Familie und Freunden vor Augen führt oder uns generell zu Demut und Dankbarkeit auffordert. Letztlich ist diese Pandemie nur eine Phase, mit einem Anfang und einem Ende. Sie wird vorüber gehen. Was sich vielleicht verändert, ist die Tatsache, dass wir bestimmte Dinge, wie unser bisheriges Freiheitserleben, unsere Unbeschwertheit nicht als selbstverständlich empfinden, sondern Dankbarkeit empfinden, wenn wir und du, diese wieder erleben dürfen.